Saatgutlager in der Sakristei
Dieser hier recht groß erscheinende Kranz ist im Original von Rubens ziemlich klein
Ich hatte da eine Idee. Nach kurzer Internet-Recherche konnte ich eine Mail an die St. Simon und Judas-Kirche in Hennef schicken und bekam prompt Antwort.
Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.
VEN-Regionalgruppe Mittelhessen
Liebes Team des Erntedankteppichs,
wir bauen Gemüsesorten an und ernten Saatgut, um es für die nächsten Aussaaten weiterzugeben.
Leider sind Sämereien nicht unbegrenzt haltbar. Durch die Ausfälle der Pflanzenmärkte in der Coronazeit blieb so mancher Samen ungesät.
Es sind schön aussehende Körner darunter. Statt sie einfach wegzuwerfen, würden wir uns freuen, wenn sie in Ihrem Teppich Verwendung fänden!
Sollten Sie Interesse daran haben, so könnten wir die Sorten vermutlich am Mittwoch den 14. August persönlich am Nachmittag bei Ihnen abliefern. Wir sind dann auf dem Weg in die Rureifel, um meine Enkel wieder bei den Eltern abzugeben. Da Sie Anfang August bereits mit der Arbeit beginnen wollen, erhoffen wir uns natürlich schon einen Blick auf das im Entstehen befindliche Werk.
Liebe Frau Renell,
Pastor Lahr hat sich sehr über Ihren Vorschlag gefreut! Das Team des Ernteteppichs freut sich auch über Sämereien aller Art.
Pastor Lahr ist am 14.8. vor Ort.
Nach kurzem Blick in die Kirche – ja, hier waren wir richtig – klingelte ich beim Pfarrer – und konnte seinen wunderschönen Garten bewundern und einen netten schwarzen Kater mit weißen Pfoten begrüßen. Unsere übervolle Gärtnerkiste wurde in die Kirche getragen; und schon beim Abstellen begann Herr Lahr zu erzählen. Er hatte so einen Teppich vor vielen Jahren in Oberschwaben gesehen. Nach einer besonders gelungenen Erntedank-Dekoration fragte er die Helfer/innen „Könnt ihr euch vorstellen, mal einen Bildteppich aus Samen zu machen?“ Die prompte Antwort war „Ja! Warum nicht!“ Und so entstand vor 8 Jahren das erste Kunstwerk. Aus heutiger Sicht finden sie es dilettantisch, aber es erregte bereits Aufmerksamkeit.
Inzwischen gibt es ein Erntedankteppich-Team aus 20 Männern und Frauen zwischen 15 und 80 Jahren, die alle mit viel Freude und Eifer dabei sind. Die meisten sagen, dass die Gestaltung etwas sehr Meditatives habe.
Seit mehreren Jahren wird jeweils ein Gemälde von Peter Paul Rubens als Muster verwendet und als Vorlage auf 30m² vergrößert. Dazu gibt es 5×6 Platten zu 1m². Dann legt man die ersten beiden Reihen auf Klebefolie vor dem Altar aus. In mehr Reihen kann man nicht gleichzeitig arbeiten. Wenn die dritte bis sechste Reihe dazu kommt, müssen jeweils zwei Bankreihen an eine andere Stelle der Kirche gerückt werden. Konturen werden mit schwarzer Senfsaat vorsichtig mit Holzleim aufgeleimt, dazwischen kommen Samen und getrocknete Blütenblätter in allen möglichen Farben. Natürlich besteht der Ehrgeiz, dass die Farben möglichst nah an die von Rubens ausgewählten herankommen. In den ersten Jahren wurde von allen Beteiligten nach Gefühl ausgewählt – was den Zeitaufwand erheblich erhöhte und es manchmal notwendig machte, alles Gelegte wieder mit einem kleinen Staubsauger aufzunehmen. Das passierte auch, als vor Jahren mal jemand ein Foto per Drohne vom fertigen Bild machen wollte. Seit 2024 gibt es eine „Farbfindungskommission“, die sich tatsächlich die Mühe macht, alle Materialien in feinsten Farbabstufungen auszuwählen und für den verwendeten Bildteil festzulegen. Dabei sind selbst dort Unterschiede zu erkennen, wo man gar nicht drauf kommt, z.B. bei Langkornreis von Rewe oder Edeka oder XYZ. Und ich konnte ganz beruhigt sein wegen unserer vielen braunen Bohnen: Es sind ja alles unterschiedliche Schattierungen. Viele der ganz hellen Stellen im Teppich, vor allem Gesichter, werden mit Silberhirse oder Luzernesamen gelegt, die eventuell auch gemahlen werden. Sie kommen z.B. vom Versuchsgut der Uni Bonn.
https://www.aussenlabore.uni-bonn.de/wiesengut/de
Wir durften in die Sakristei und konnten einiges Saatgut betrachten. Pfarrer Lahr kannte sich auch ohne Beschriftung sehr gut aus. Bei mehr Zeit würde man vermutlich vieles finden, das ich auch als langjähriges VEN-Mitglied nicht kenne.
Pfarrer Lahr zeigt den Kindern das Material; normalerweise sehen Sakristeien ganz anders aus
Bei unserem Besuch war gerade die erste und zweite Reihe im Entstehen, denn man hatte erst am Montag zuvor mit dem Legen begonnen. Meistens wird abends und den ganzen Samstag am Bild gearbeitet. Es gibt auch Gemeindemitglieder, die dafür Urlaub nehmen.
Das Bild, das von der Orgelempore wie ein Teppich wirkt, soll am 1. Oktober fertig sein, also rechtzeitig vor Erntedank am 6. Oktober. Es bleibt dann bis kurz vorm 1. Advent (dieses Jahr am 1.12.) liegen. In der Woche davor werden alle Materialien fein säuberlich getrennt wieder eingesaugt, in Dosen verstaut und im Keller gelagert. Da die Kirche immer geöffnet ist, kann man das Bild jederzeit betrachten. Ich durfte ganz nah herangehen. Da dies später nicht mehr möglich ist, wäre ein Fernglas mit 4-6facher Vergrößerung ratsam. Dann sieht man nicht nur die Farben, sondern auch die Blätter und Samen, aus denen sie gebildet wurden.
Näheres findet ihr hier:
https://www.katholische-kirche-hennef.de/gemeindeleben/gruppen/Erntedankteppich. Man muss sich nicht anmelden, es sei denn, man möchte eine Führung haben oder kommt in einer größeren Gruppe.
Fotos: Eveline Renell, Winfried Senger