Alltagshelden Teil 2

Ein Maskottchen hilft bei der Arbeit

Nachdem ich früher als geplant nach Hause fuhr, bin ich am folgenden Dienstagnachmittag wieder vor Ort und bewege mich vor allem im Erdgeschoss. Es sind erheblich mehr Kunden und Kundinnen im Raum, auch ganz viele Stammkunden. Ein Paar verlässt nach langer Suche ohne Ware den Laden. Ein Familienvater von 4 Kindern sucht sehr sorgfältig und kommt mit einem Arm voll Pullovern und Sweat-Shirts in guter Qualität an die Kasse. Dem Aufdruck auf seiner Jacke nach arbeitet er für eine Frankfurter Reinigungsfirma. Ich höre Gesprächsfetzen. Wenn man will, kommt man hier offenbar sehr schnell in politische Diskussionen. Mir fällt ein älterer, kräftiger gutaussehender Herr auf, der sich lange in Ruhe umsieht. Dann fragt er mich nach einer Jacke, da kann ich ihm aber nicht helfen. Doch gerade betritt eine Frau mit einer Plastiktüte den Laden “Kann ich hier wohl die Hemden von meinem verstorbenen Man abgeben? Sie sind aber in Übergröße.” Ich gucke: Größe 46. “Die müssten Ihnen eigentlich passen”, sage ich zu dem Herrn. Ines kommt dazu, direkt vor der Kasse wird anprobiert, er nimmt alle drei. “Auch das weiße?” “Ja, ich war in diesem Jahr schon auf 2 Beerdigungen.” Ich frage ihn, warum er hier einkauft. Er ist Stammkunde, wohnt nicht weit entfernt. Er hat Jahrzehnte als Koch und Metzger in der Gastronomie gearbeitet, wurde entsprechend schlecht bezahlt und hat nun eine geringe Rente. Ein älteres Ehepaar beantwortet die gleiche Frage ebenfalls mit der geringen Rente. Er bekommt 800€, sie 500€, davon geht schon die Hälfte für die Miete drauf.

Conca und Jule kommen regelmäßig in den Kleiderladen


Zwei Studentinnen sind bereit, sich fotografieren zu lassen. Conca studiert Kunst und Ethik auf Lehramt und Jule Soziale Arbeit in Frankfurt. Auch sie kommen regelmäßig. “Second Hand ist Trend” sagen sie. Außerdem wollen sie persönlich etwas gegen das Wegwerfen tun. In der Diskussion kommen wir vom Hölzchen aufs Stöckchen. Jule kritisiert, dass die Lebensmittelrettung strafbar ist. “Aber nicht alle Supermärkte verschließen nachts die Container.”

Eine schlanke Endfünfzigerin betritt das Geschäft mit einem schwarzen Cocktailkleid auf dem Arm. “Das kann ich gut gebrauchen, ich will ein sehr altes Kleid aus dem 19. Jahrhundert reparieren. Habt ihr auch Spitze?” Haben wir nicht, aber ich bringe ihr den Schal in Ausbrenntechnik, den ich kurz vorher am Treppengeländer befestigt hatte. “Oh, der ist auch gut zu gebrauchen.” Später nehme ich ihr ein paar sehr ausgefallene Schuhe ab, damit sie die Hände frei hat. Ines holt eine ganz besondere rote Tasche aus dem Schaufenster. “Sind Sie sehr modebewußt?” frage ich. “Nein, eigentlich nicht, aber ich weiß gute und schöne Sachen zu schätzen. Deshalb schaue ich immer mal wieder hier vorbei.”
Da ich selber im Schaufenster einen kleinen Rucksack entdeckt habe, muss nachdekoriert werden. Dabei unterstütze ich Ines bei der Auswahl von Accessoires. Es macht Spaß, obwohl ich mit Mode normalerweise wirklich nichts am Hut habe.

Das Bezahlen: Wesentliche Ausgaben können mit den Einnahmen aus der Kleiderkammer getragen werden.



Bitte beachten Sie: Unsere Preise sind Festpreise und nicht verhandelbar! – Dennoch wird das immer wieder versucht.
Ganz so fest sind die Preise aber doch nicht, denn für Inhaber der Giessen-Karte gibt es einen Preisnachlass von 20.%,
StudenInnen bekommen 10% Nachlass.


Meine Zeit ist um, aber die wenigen Stunden haben mir gut gefallen. Im Kleiderladen herrschte zeitweise eine richtig familiäre Stimmung wie ich sie sonst beim Kleidungskauf nicht mehr kenne. Und es gibt Leute wie Nadja, die aus dem Irak stammt, die irgendwann den Laden betraten und jetzt immer mal wieder vorbeischauen. Inzwischen sind sie und Ines Freundinnen. Nadja kommt öfter nach ihrer regulären Arbeit und ist auch gefragt, wenn eine Übersetzung aus dem Arabischen hilfreich ist. Ich “fürchte”, ich werde auch zur regelmäßigen Besucherin.
Nächste Woche komme ich wieder, damit Ines den Bericht gegenlesen kann. Vielen Dank, liebe Ines!

Herrenmode
Kinderkleidung
Diese Schuhe müssen noch sortiert werden
Auch saubere!!! Unterwäsche wird angenommen

Kleiderladen Rodheimer Straße 29 in der Gießener Weststadt
Öffnungszeiten Mo – Fr von 10.00 bis 12.30 und von 13.00 bis 18.00 Uhr,

Sa von 11.00 – 16.00 Uhr

Alle Fotos Eveline Renell

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