Wir waren vom 18. bis zum 25. Juli in den Bundesländern Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen unterwegs. Für diesen Bericht haben wir auf das verzichtet, was üblicherweise in Reiseberichten steht. Wir berichten stattdessen von Aktivitäten einzelner Menschen oder Gruppen, die uns gut gefallen haben.
Anlass der Rundreise war der 70. Geburtstag meiner Cousine in Jüterbog.
Tango-Workshop ud rote Elefanten in Braunsbedra
Do 18. Juli: Hinter Eisenach nur noch Bundesstraße bis Mücheln an der Geiseltalsperre. Der ehemalige Braunkohletagebau mit über 80m Tiefe wurde zwischen 2003 und 2011 geflutet.*1) Die Region bekam damit ganz neue, andere Arbeitsplätze.
Auf die Initiative eines Einzelnen geht die Erhaltung der ehemaligen Reparaturwerkstatt “Zentralwerkstatt Pfännerhall” in Braunsbedra zurück. Wir hatten freien Zutritt, obwohl die Halle wegen eines 10tägigen Tango-Workshops gesperrt war. 300 Teilnehmer/innen wurden erwartet. Innen und außen herrschte ein fröhliches, aber ruhiges Treiben. Im Außengelände existiert ein Camping- und Wohnmobilstellplatz.Die roten Elefanten im gesamten Geiseltal erinnern an den Fund eines Urpferdchens und eines Urelefanten 1985. *2)
Nach dem Knast Pub ins Freilichtkino in Luckenwalde
Fr 19.Juli: Richtung Halle vorbei an Feldern mit Faserhanf. Beide kennen wir Halle nicht. Leider konnten wir nur einen flüchtigen Blick auf die offenbar schöne Altstadt werfen. Die Verkehrsführung war katastrophal, der Gießener Verkehrsversuch wirkt dagegen goldig. Es folgte viel Landschaft, etliche Kurorte, schöne Dörfer mit innerörtlichen Alleen. Überraschung in Luckenwalde: Eine wunderbar restaurierte “Breite Straße“. Weniger schön: Die Preise sind sehr hoch, ebenso die Mieten. Günstig und originell der “Knast Pub“, wo bis 1945 Gefängnis und Amtsgericht standen. Wir folgten einer Plakatankündigung und sahen einen Film im Stadtpark. Die im Februar von Jugendlichen gegründete Initiative “JuLuck”*3) hatte 20000€ für ihre Arbeit eingeworben und für die Filme sogar zwei Monate erfolgreich mit Warner Brothers verhandelt. Tim erzählte “Wir arbeiten und lernen außerhalb, wir studieren woanders, aber wenigstens unsere Freizeit wollen wir in Luckenwalde verbringen”. Beim ersten Filmabend mit den “Kanguruh Chroniken” waren über 120 Besucher/innen anwesend, darunter viele Familien mit Kindern.
Ein Papiertheater und Lohengrin
Sa 20. Juli: Morgens nach Kloster Zinna, einem alten Zisterzienserkloster. Bekannter ist Kloster Lehnin.
Dann die Geburtstagsfeier. Auch hier gab es etwas Besonderes. Der Partner meiner Cousine hatte ein komplettes Papiertheater im Keller eines Verwandten gefunden. Im 19. Jahrhundert diente es den Kindern aus gutbürgerlichen und Adelskreisen zur Vermittlung von Theater- und Opernthemen. Bühnenbild und Figuren für “Lohengrin” waren vollständig. Eine ganze Woche lang wurde gemeinsam mit einem Theater-affinen Freund in der schwarz verhängten Garage geprobt, zwei Tage lang mit Wasserkühlung bei über 36° Außentemperatur. Seine Lesung der verschiedenen Rollen war hinreißend. Der Text war eine Mischung von eigens fürs Papiertheater erstelltem mit dem des Tenors Leo Slezak “Wann bitte geht der nächste Schwan?“ Zum Glück keine dreieinhalb Stunden wie das Original, aber fast 90 Minuten im heißen Garagentheater.
Dank Umleitung zum Karl-Förster-Garten bei Potsdam
So 21. Juli: Im Geburtsort meiner Oma am Mellensee wurden offenbar alle Häuser abgerissen, die von vor 1945 stammten. Aber der Mellensee ist sehr schön und fischreich und leitet bereits die Seenplatte im Osten und Norden Berlins ein. Wir fuhren weiter nach Neuruppin zu alten Freunden, die von Frankfurt hierher umgezogen waren. Eigentlich wollte ich die A10 Ost fahren, aber ohne Atlas landeten wir auf der A10 West und mussten eine große Baustelle umfahren, die uns durch Potsdam führte. Und nicht nur das. Wir kamen an Bornim vorbei, allen Staudenliebhabern bekannt durch die Karl-Förster-Gärtnerei. Der Garten steht unter Denkmalschutz und kann besichtigt werden.*4) Winfried meinte, jetzt verstehe ich endlich, wovon du immer redest.
Der Biebertaler Bilderbogen beim Neuruppiner Bilderbogen
Mo 22. Juli: Neuruppin ist für vieles bekannt, am meisten wohl für Theodor Fontane. Uns ging es um die Besichtigung des “Neuruppiner Bilderbogen”. Schon die Bilderbogen- Passage (Geschäfte) zeigt viele Drucke. Im Museum dann die Geschichte und Herstellung der Drucke mit einer Auflage von bis zu 100.000 Stück. Dazu ein gesonderter Beitrag. Was uns noch gefiel: Ausgesprochen freundliches Personal. Eintrittspreise nach eigenem Ermessen. “Die Touristen geben meist mehr, die Einheimischen kommen schon mal für 1€, dafür aber öfter für eine halbe Stunde und bauen damit eine Beziehung zu ihrem Heimatmuseum auf.”
Rotfedern und Metallspecht in Rheinsberg
Nachmittags waren wir in Rheinsberg. Es wurde durch Kurt Tucholsky: “Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte” aus dem Jahre 1912 weltbekannt. Die Kaffeepause gabs entsprechend im Café Claire. Der Kuchen war lecker, aber die Bedieung sehr langsam, nach Meinung unserer Freunde beabsichtigt vom Besitzer. Besser gefiel uns die sehr ungewöhnliche St. Laurentius-Kirche, die von einer Familie ausgestattet wurde – irgendwie wie vom Dachboden geholt. Und noch besser die Baumgiraffe und der Metallspecht, der einen Starfighter zerhackt. Dahinter steht der Künstler Tony Torrilhon*5) und seine Unterstützung des Kampfes “Wittstock – Ruppiner Heide”*6). Vor der Wende und bis in die 1990er Jahre nutzte die Sowjetarmee das Gelände als Bombodrom. Die Bundeswehr wollte damit weitermachen, aber die Bevölkerung wehrte sich unter anderem mit 110 Protestwanderungen. 2009 war der Truppenübungsplatz Geschichte. – Die Rotfedern wurden von einem 11jährigen im Gudelacksee geangelt. Kinder dürfen das im Land Brandenburg ohne Angelschein.
In Hildesheim sagt man öfter Danke!
Di 23. – Mi 24. Hildesheim Unsere Fahrt ging über das zauberhafte Tangermünde*7). Auffällig viele Cafés und Restaurant mit zivilen Preisen. Kurze Teepause. Tangermünde ist sehr empfehlenswert zur Erkundung von Altmark und Wendland bis Lüneburg. Von Hildesheim aus machten wir einen Verwandtenbesuch im Deister. Nach einem Absacker im “Trödelchen” in der Hildesheimer Friesenstraße gingen wir bald schlafen. Die lange Fahrt war anstrengend. Das Trödelchen muss ich erwähnen. Außer der sympathischen Bedienung hatte es ganz moderate Preise: 02l Wein für 3,90€!
Am Mittwoch Erkundung der Stadt auf dem Welterbe-Weg. Der Rosenstock im Klostergarten des Doms ist beeindruckend und soll nach neuesten Untersuchungen tatsächlich auf eine fast tausendjährige Pflanze zurückgehen. Ungewöhnlich war es in der St. Andreaskirche. Im Kirchenschiff ein Spiel- und Sportplatz ab Nachmittag, ansonsten immer noch ein Ort der Ruhe.
Die Altstadt von Hildesheim galt mal als schönste Fachwerkstatt Europas.
Nachmittags trafen wir uns mit einer Freundin, die uns in den Godehard-Garten führte. Die Kirche St. Godehard wurde im 12. Jahrhundert gebaut. So alt ist auch der große Garten. Vor einigen Jahren wurde er zu einem “Ort der Begegnung” umgewidmet und seitdem von Mitgliedern einer Freiwilligen-Arbeitsgruppe gepflegt. Normalerweise nur am Freitagnachmittag geöffnet. Den Fußweg teilt man sich mit den Radfahrern, die sehr bedacht fuhren. Jedesmal hörten wir ein Danke, wenn wir zur Seite gingen.
Stabkirche im Harz und Wilhelm-Busch-Mühle bei Göttingen
Do 25. Juli: Über Bad Salzdetfurth (ich war dort 1958 in einem Kindererholungsheim ohne üble Behandlung; davon hörte ich nur durch andere Kinder, die schon in anderen Kinderheimen gewesen waren.) ging es nach Hahnenklee, um die Stabkirche zu besichtigen, in der Winfried seine erste Frau geheiratet hatte. Ein beeindruckendes Gebäude. Der Ort selbst verkörpert 80er-Jahre-Tourismus mit Schwerpunkt verschiedener Bahnen auf den Bocksberg. Von dort ist der Brocken zu sehen. Weiter durch Clausthal-Zellerfeld mit vielen schönen Gebäuden mit Holzverkleidung. In diesem Jahr feiert das Bergamt 500. Geburtstag. Der Erfinder des Drahtseiles stammt von hier. Der Ort scheint zur Erkundung des Südwestharzes gut geeignet.
Unser letzter Stopp vor der Autobahn war Ebergötzen (nahe Göttingen). Hier lebte mein Vater einige Monate im Jahre 1948. Bedeutender ist es natürlich als Station im Leben von Wilhelm Busch. Busch war mit dem Sohn des Müller ein Leben lang befreundet. Im letzten Kapitel von “Max und Moritz” hat Busch die Mühle in den Zeichnungen verewigt. Die Gemeinde wollte die Mühle abreißen; nur eine Gedenktafel sollte an Busch erinnern. Ein Förderverein gründete sich 1972, organisiert Ausstellungen und Führungen und vor allem, er unterhält die immer noch funktionsfähige Mühle. Der Mühlbach fließt schnell und hat ganz klares Wasser. Mit einem Zug von drinnen wird das Wasser auf das oberschlächtige Mühlrad geleitet. Die “Bachmann-Mühle” ist also nicht nur ein literarisches, sondern auch ein technisches Museum*9). Ein kurzer Abstecher von der A7 an der Ausfahrt 72 Göttingen Nord beschert einem ein schönes Erlebnis.
Fotos Eveline Renell und Winfried Senger
*1) https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/saalekreis/geiseltalsee-jubilaeum-flutung-ende-tagebau-100.html
*2) https://www.pfaennerhall-geiseltal.de/index.php/ausstellungen/die-ausstellung-fundort-pfaennerhall
*3) https://juluck.de/
*4)https://www.denkmalschutz.de/denkmal/wohnhaus-und-garten-karl-foerster.html
*5) https://www.tony-torrilhon.de/biographie.html
*6) https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/07/brandenburg-kyritz-ruppiner-heide-militaer-bundeswehr-15-jahre-freie-heide-bombodrom.html
*7)https://www.altmark.de/die-altmark/hansestaedte-staedte/hansestadt-tangermuende
*8)neuruppin/handwerk-spuren-der-harzgewinnung-auch-nach-30_jahren-zu-sehen-49057074.html
*9) https://www.wilhelm-busch-muehle.de/